Zeit

Die unendliche Zeit abmessen, sie in einen Kanon setzen, Übersicht und Kontrolle, schon haben wir das Jahr, wie es der Mensch geschaffen hat. “Ein gutes neues Jahr!” Alles was nicht Mensch ist, lacht sich krumm. Das zweibeinige Wesen, mit Ohren, Augen und Nase, die kaum was taugen, sehr geschickten Händen und einem Hirn, das Sekunden erfunden hat, Hundertstelsekunden, Jahre, Wochentage und vieles mehr. Wolken, Wind und die Sonne entziehen sich ihm. Das macht nervös. Das pelzlose Geschöpf stellt Hochrechnungen an, denkt voraus und macht sich Sorgen. Die Sache in den Griff bekommen, es zum Guten steuern, rauf und runter rasendes Hirn. Auf unsere Zählreime hingegen ist Verlass. Montag bis Sonntag, von Christi Geburt rückwärts und vorwärts, ab Mittag dauert es zwölf Stunden bis zum nächsten Tag. Und wieder konnten wir ein Jahr deckeln. Etikettieren, es steht im Regal. 

“Das Alter als erlösende Zeitlosigkeit”, meinte Alfred Hoffmann, Erfinder von LSD. Wie recht er hat. Mir drehen unsere Abzählreime zu schnell. Es passt nicht mehr, Jahresende, Jahresanfang. Weder ein Ende noch einen Anfang kann ich ausmachen, ein Ritual prallt aufs nächste. Eine halbwilde Katze schaut mir zu, wie ich auf meinen Fuss noch einen Fuss schnüre. Kratzt ihr Kinn am Stuhlbein. Entzieht sich meinen streichelnden Fingern.

Im Zentrum von Tiflis, in den verwinkelten Gassen der Altstadt
Aus Freude an der Freude. Wacho und Brigitte in Tiflis

2 Gedanken zu “Zeit

  1. Die Zeit
    Mein Reich ist klein und unabschreitbar weit.
    Ich bin die Zeit.
    Ich bin die Zeit, die schleicht und eilt,
    die Wunden schlägt und Wunden heilt.
    Hab weder Herz noch Augenlicht.
    Ich kenn die Gut‘ und Bösen nicht.
    Ich trenn die Gut‘ und Bösen nicht.
    Ich hasse keinen, keiner tut mir leid.
    Ich bin die Zeit.

    Da ist nur eins, – das sei euch anvertraut:
    Ihr seid zu laut!
    Ich höre die Sekunden nicht,
    Ich hör‘ den Schritt der Stunden nicht.
    Ich hör‘ euch beten, fluchen schrei’n,
    Ich höre Schüsse zwischendrein;
    Ich hör‘ nur Euch, nur Euch allein …
    Gebt acht, ihr Menschen, was ich sagen will:
    Seid endlich still!

    Ihr seid ein Stäubchen am Gewand der Zeit, –
    Lasst euren Streit!
    Klein wie ein Punkt ist der Planet,
    Der sich samt euch im Weltall dreht.
    Mikroben pflegen nicht zu schrei’n.
    Und wollt ihr schon nicht weise sein,
    Könnt ihr zumindest leise sein.
    Schweigt vor dem Ticken der Unendlichkeit!
    Hört auf die Zeit!
    (Erich Kästner)

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