Süsse Früchte

Es gibt Menschen, die besuchen Georgien nicht, weil sie es nicht ertragen Armut zu sehen, sagen sie. Für mich sind Reichtum und Armut Fäden desselben Tuchs.
Was, wenn in Georgien, in nicht immer renovierten Wohnungen und Häusern, die welt-süssesten Pfirsiche auf dem Tisch stehen? Sich das Gesicht bei einem Kilo Brombeeren kein einziges Mal zur Grimasse verziehen muss? Die Erdbeeren noch so schmecken wie in meinen Kindheitserinnerungen? Netz- und Wassermelonen einheimisch sind, genauso wie die Zitrusfrüchte von der Küste? Für Georgier*innen ist das alles selbstverständlich. Das ist Reichtum.

Meine Grossmutter fuhr in den 50er Jahren mit Ross und Wagen, die Zügel hielt sie selbst in der Hand, in die Stadt. Ihr Wagen war beladen mit Gemüse und Früchten. Vom unteren Baselbiet brachte sie als Bauernfrau ihre Ernte nach Basel, wo sie diese von Tür zu Tür an ihre Stammkundschaft verkaufte. Wenn bei uns im Quartier die Frauen vom Dorf ihre Ware ausrufen „Malinaaaa, Maqvaliii!“ „Himbeeren, Brombeeren!“ reitet mir meine Grossmutter durch die Gedanken. Gerne würde ich von diesen Frauen kaufen, aber als Ausländerin scheine ich Fantasien auszulösen, die sich in Fantasiepreisen äussern. Es ist für mich einfacher, in den Strassenlädeli einzukaufen, wo mich die Leute kennen. Einen Messerschleifer haben wir auch, der sporadisch auf dem Trottoir seine Dienste anbietet und „Dschaartiii!“ bedeutet, dass sich wieder mal ein Lada durchs enge Quartiersträsslein kämpft und sein Fahrer per Megafon nach Alteisen sucht. Bei der Milch übrigens, da wurde ich mit der Bauernfrau aus Chiatura, Westgeorgien, die 2x die Woche frische Milch und Käse an der Strassenecke verkauft, einig. Jetzt koche ich wieder Milch ab und habe den Rahm grad dazu, wie damals, als ich diese als Kind – oder war ich schon Jugendliche? im unteren Baselbiet vom Milchhüsli nach Hause brachte.

Richtig, ich bewege mich im georgischen Alltag aus einer privilegierten Situation. Aber auch aus einer, die beide Seiten gut einschätzen kann. Ich bleibe dabei. Armut und Reichtum liegen nah beieinander. Und manchmal verwechselt man sie.

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