Von Pferden und Trauben

Georgiens Grenzen sind für die meisten Länder immer noch zu und werden es bestimmt noch mindestens bis nach den Regierungs- und Parlamentswahlen vom 31. Oktober bleiben. Wir hatten diese Saison nicht einen Gast. Das Corona-Vorkommen war minim. Ausserhalb von Tiflis und den wenigen grösseren Orten im Land wurde immer normales Leben abgehalten. Eine Wohltat, die dazu führte, dass ich mich so oft als möglich in der Freiheit des ländlichen Lebens aufhielt. Und vergangene Woche hab ich mir einen Traum erfüllt. Reiten. Als ich vor sechs Jahren in den Vorbereitungen für den Umzug nach Georgien war, war für mich klar, dass ich in der neuen Umgebung endlich Reiten lernen würde. Mal angekommen gab es jedoch genug andere Herausforderungen, ich spürte, dass das Reiten eine zuviel wäre. Alles hat seine Zeit – letzte Woche war sie da.

Wunderbarerweise war Wacho bereit mich zu begleiten, und so gingen wir nach Kachetien, Ostgeorgien. Wir trafen Temo, der eigens für uns mit drei Pferden von Tuschetien, der Bergregion im Nordosten, die gemeinsame Grenze mit den russischen Republiken Tschetschenien und Dagestan hat, herunter kam. „Die Pferde sind dicker als sonst, sie haben den ganzen Sommer auf der Weide verbracht, anstatt wie sonst auf Pferde-Trekkingtouren im Einsatz zu sein“ meinter er. Drei Tage waren wir miteinander unterwegs. Temos Art, uns Reiten zu lernen, erinnerte mich sehr an Saliko, den Kvevrimacher, den wir vor einiger Zeit besuchten. Temos Credo war: „Folge den Bewegungen des Pferdes und mit der Zeit spürst du, wie es geht“. Wacho und Temo witzelten: „In Afghanistan drückt man einem Neugeborenen die Kalashnikov in die Hand, in Tuschetien setzt man es aufs Pferd“.

Am Tag 1, zum Angewöhnen, waren wir zwei Stunden im flachen Terrain des Alasani(wein)tals unterwegs. Die Traubenernte war in vollem Gange, das Dorf Kvemo Alvani, unser Ausgangspunkt, befand sich in der Kisi-Mikrozone. Kisi ist eine weisse Traubensorte, die sehr fruchtigen Wein hervorbringt. Ein Aroma von Birne, Zitrusfrüchten und manchmal einem Schuss Mango, so würde ich ihn umschreiben. Wir waren jedoch einigermassen hoch zu Ross, die tuschetischen Pferde sind mittelgross, und mit ganz anderem beschäftigt als Gaumengenüssen. Am Tag 2, die Auswirkungen von Tag 1 gut spürend, beschäftigte mich vor allem die Frage: Wie kann ich auf diesem rumpelnden Rücken sitzen und gleichzeitig meine Weichteile schonen? Nun, auch das wohl eine Frage der Zeit. Ohne viel Zeit zu verlieren, gings diesmal in die Höhe. Und wir lernten aus erster Quelle, dass die tuschetischen Pferde bergauf rennen, und vom Rennen in den Galopp kommen – wir waren froh, dass die Sättel einen Halteknauf hatten, so retteten wir uns instinktiv bei der ersten Überraschung.

Tag 3 war ähnlich wie Tag 2, nur gebrauchte ich beim schnellen Trab und im Galopp den Halteknauf nicht mehr. Ich verliess mich auf mein Zentrierungsvermögen und die Verbindung zum Pferd. Es waren für uns sehr schöne Tage, in denen wir auch die kachetische Landschaft nochmals ganz neu entdeckten. Unterwegs zwischen hoch gewachsenen Maisfeldern, verblühten Blumenwiesen, verwunschenen Wäldern und Rebanlagen – im Nachhinein stellten wir fest, dass wir fast kein Foto gemacht hatten – nur hier, nach dem ersten Galopp – überlassen wir es der Zeit, wie sich dieses begonnene Abenteuer weiterentwickelt

Reitausflug in Kachetien, Ostgeorgien

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