Musik & Tanz & Georgien

Bist Du im Juli in Tbilisi? Dann lege ich Dir ans Herzen das Art Gene Festival zu besuchen!

Erlebe vom 19.-28.7. traditionelle Musik und Tanz aller Regionen Georgiens, das Festival wird dieses Jahr zum 21. Mal durchgeführt. Auf dem Gelände des Open-air Ethnografie-Museums, im Grünen, oberhalb der Stadt. Das Programm beginnt ab 20 Uhr, fürs Hauptprogramm ab 22 Uhr sind dieses Jahr moderne georgische Klassiker eingeladen wie u.a. Nino Katamadze, Sukhishvili Nationalballett, REGGAEON

Gewächse und ihre Verbreitung

Die Territoriumsfrage im Garten hat sich folgendermassen entschieden: 
1. Rang, das Gras
2. Rang, die Erdbeere und die weisse Taubnessel
3. Rang, die Winde
4. Rang, der Pfefferminz
Leider sind auch Stachlige und Würgende am Wettbewerb beteiligt:
Die Distel und eine Art, deren Namen ich nicht kenne, sie gleicht den Blättern und langen beweglichen Zweigen der jungen Himbeere. Als Würger tritt der Hopfen auf.

Wachsen und sich vermehren ist ihr genetischer Auftrag. Wie bei uns, aber wir haben noch ganz anderes drauf, z.B. den Standortwechsel. Mit der Hüfte über die Beine gestemmt, Oberkörper und Kopf folgend, sind wir schon fast unterwegs, die Füsse tragen uns davon. Ein bisschen aufwändiger wirds, wenn wir davonrollen wollen, wir sitzen in ein blechernes Gefährt. Wenn wir fliegen wollen, – es ist bekannt.

Ich wählte die Räder-Variante und befinde mich nun in Tiflis. Um dem grünen Angriff im Garten zu entfliehen? Vielleicht. Vorallem jedoch, um meinem Mann wieder näher zu sein. Ich wohne nun einen Kilometer von ihm entfernt, er ist schwer krank. Ich konnte es nicht mehr ertragen, Informationen zu seiner Gesundheit aus der Ferne zu erhalten; jetzt kann ich die Situation täglich selber einschätzen. Das gibt Ruhe und die Gewissheit, am richtigen Ort zu sein.

Natürlich werde ich regelmässig zu Haus und Garten auf dem Land schauen. Im Moment hat mich jedoch die Stadt wieder, das Quartier, in dem ich bereits sechs Jahre gelebt habe. Abends riecht es nach Flieder und warmem Strassenstaub.

Der Beginn

Seit mehr als 8 Jahren lebe ich in Georgien. Meinen Blog begann ich im Frühjahr 2015, wenige Wochen bevor mich das Taxi am 2. Mai mit meinem 32 kg schweren oder leichten Koffer zum Flughafen Zürich fuhr. Mehr hatte ich nicht dabei, als ich die Schweiz verliess. Später bekam ich noch vier bis fünf Kartonschachteln mit Büchern und den Wanderschuhen nachgereicht. Ich wusste: Wenns in Georgien nichts wird, dann reis ich einfach weiter; zurück geh ich nicht. In einer Privatschule in Tiflis konnte ich gleich zu arbeiten beginnen. Ich wurde dort zwar kaum integriert, was schmerzvoll war, aber ich erledigte meine wichtigste Aufgabe, Kontakte mit europäischen Unis für die Abiturabgänger*innen der Schule zu etablieren, und die restlichen Aufgaben übergab ich dem Wind, denn nie fragte mich jemand danach. Nach einem Jahr der Eklat. Eine nicht unseren vertraglichen Abmachungen entsprechende Entscheidung des um viele Jahre jüngeren Abteilungschefs machte mich dermassen sauer, dass ich ihn in seinem Büro, bei offener Tür, ausgereift abkanzelte. Was für eine Befreiung. Die immer so kontrollierte Brigitte fuhr aus dem Dampfkessel wie ein roter Pfeil und kündigte fristlos. Eine wichtige Errungenschaft, die ich mir hier erworben habe. Ich benutze sie nur im Notfall.

Der Besuch

An der Kurve zur Dorfausfahrt steht ein Pfarrer, der mit seinem Daumen Richtung Tiflis zeigt. Er macht mir ein extra Zeichen, ich halte an. Der Schwarzkuttige öffnet ohne viel Aufhebens die hintere Tür und haut sich rein. Er hatte nicht verstanden, dass ich zuerst noch die Tomaten, für meine Schwiegermutter in der Stadt gedacht, vom Rücksitz in den Kofferraum retten wollte. Glück gehabt, es gab keine zerquetschten. Wie sich im Rückspiegel herausstellte, war der Geistliche jünger als ich und leutselig. Unser Dorfpfarrrer. Don Camillo kommt mir in den Sinn – und ich Peppone? Er bekommt einen Anruf, jemand wartet auf ihn „In 20 Minuten bin ich da!“, sagt er, das kommt nie und nimmer hin, weiss ich. Um ihn zu unterstützen drücke ich auf die Tube und werde dafür in den Antworten einsilbiger. Er versteht und zusammen fliegen wir nach Tiflis, wo er mir in der Vorstadt, beim grossen Parking eines Supermarktes, das Zeichen gibt, ihn abzusetzen. Er schenkt mir eine schöne gelbe Bienenwachskerze und bedankt sich herzlich. Das war ein guter Anfang, denn ich fahre in die Stadt, um in der Nacht mit Wacho meine Mutter am Flughafen abzuholen. In Georgien bedeutet das Mitnehmen eines Fahrgastes den Segen Gottes. Meine Schwiegereltern lächelten zufrieden, als sie vernahmen, dass ich einen Pfarrer dabei hatte.

Und dann ist also meine Mutter da. In Tbilisi, in den Strassen, die niemand meiner Familie je gesehen hat. Wacho und Margaret, wie er sie nennt, sehen sich zum ersten Mal. Wie oft wollte er in den vergangenen Jahren mit ihr reden, ihr sagen, sie solle mich holen kommen, ihr sagen, wie recht sie habe, mit mir böse zu sein.
Was soll ich erzählen von diesen wunderschönen Tagen? Kleine Dinge. Dass Mami und ich zusammen zu Goris Burgruine hinaufgingen, bei starkem kühlen Wind, die letzte Treppenstrecke geschafft und stehen im Tor zum Burgareal. Der Wind ist hier so stark, dass wir nicht mehr weiterkämpfen und lachend stehen bleiben. Dann raffen wir uns auf, legen uns wieder nach vorne in den Wind, und zwei Schritte weiter, im Gras des flachen Ruinenovals, fallen wir aus den Angeln. Windstille.
Im Strassencafé schauen wir auf geparkte Autos. Ob sie die Autos schon gesehen habe, die ohne Zahnfleisch? frage ich meine Mutter. Sie versteht nicht. Schau, da vorne ist eins. Das weisse Fahrschild hängt unten in schwarzer Leere, die Räder rechts und links stehen dunkel und nackt auf der Strasse. Keine Stossstangen, fortgeschrittene Parodontose. Ab dann sieht sie die eigenwilligen Brummer überall.
Zum grossen Tifliser Lebensmittelmarkt der Deserteure, so heisst er, gehen wir mit der Metro. Am Freiheitsplatz ist die Metro Teil der grossen Shopping Mall, die auch das Russische Theater beherbergt. Viele Leute, der Geruch ungewohnt, wir passieren die Ticketkontrolle und scharfe Kurve zu den Rolltreppen, drauf gesprungen, Mami fischt ihre Augen erschrocken aus der unerwartet tiefen Schlucht. Ja, hab ich komplett vergessen, Mamis Höhenangst, wie sie manchmal beim Schifahren plötzlich nicht mehr weiter den Hang runter kam. Ich steh eine Treppenstufe unter sie, um ihr die traumatische Sicht zu verstellen.
Und dann, als Abschluss, der Besuch beim Winzer im schroffen Vulkanfels, unweit von meinem Wohnort. Die Familie ist noch nicht zu Hause, der Grossvater zeigt uns alles, und ohne dass Mami die Sprache versteht, versteht sie aus seinen Bewegungen, wie hier Wein gemacht wird. Ganz ähnlich wie bei ihr zu Hause, damals, in den 50er Jahren. Wir geniessen den goldenen Wein und das köstlich frische Essen. Was das kleine Holzhüsli wohl sei, frage ich sie, als wir zum neuen Gebäude gehen, wo unsere Zimmer sind. Ein einfaches Klo? wundere ich mich weiter. Aber nein, nicht mit dem kleinen Kamin oben auf dem Dach, meint sie. Nunja. Am nächsten Morgen, bevor wir abfahren, frage ich den Grossvater. Er öffnet die Tür. Im Moment sind Quittenschnitze zum Trocknen drin, aber oben an einer Stange hängen Metallhaken. Zum Räuchern von Schweinefleisch, meint er. Meine Mutter nickt und lacht, das hab ich mir gedacht, sagt sie, das hatten wir auch. Und von unten wird gefeuert!

Höhlenstadt Vardzia, Kleiner Kaukasus:

Meine Mutter und ich im Fels der Höhlenstadt Vardzia, Kleiner Kaukasus, Georgien

Ein Palast

für Kinder, und alle, die den Zirkus mögen.

Der stolze Zirkuspalast aus der Sowjetäre ist heute noch in Betrieb

Erbaut 1939, war der Tbilisi Zirkus mit seinen 2000 Sitzen eine wichtige Attraktion nicht nur für Tifliser*innen, sondern auch für die vielen Sowjet-Tourist*innen, die Georgien besuchten. Er war und ist Gaststätte für Zirkustruppen aus aller Welt (ob wohl der Knie schon mal da war?!)

Heute wird der Palast, der 2011 nach einer langen Renovationsphase neu eröffnet wurde, vor allem von einheimischen Kindern und deren erwachsenen Begleitung besucht. Mit dem Zirkus geht es mir ähnlich wie mit dem Zoo, ich habe dazu eine gespaltene Beziehung. Dass für leuchtende Kinderaugen ein so wuchtiger Bau im 1939 und wiederum nach der Wende als angemessen empfunden wurde, gefällt mir jedoch sehr.

Der Bau erzählt viel vom sowjetischen Traum: Von der hellen Zukunft, die alle vor sich hatten; von den Kindern, die in diese Helligkeit hineinwachsen und sie weiter ausbauen sollten.
Gerade in den 30ern jedoch, in der Stalin-Ära, wurden genau für diese helle Zukunft die dunkelsten Register gezogen. Laurentius Beria war bis 1938 als Sekretär der Kommunistischen Partei Georgiens und Transkaukasiens in Tiflis stationiert. Er setzte sich für die Stadtentwicklung ein und war gleichzeitig die dunkle Hand, die rücksichtslos weitreichende Säuberungen in der georgischen Intelligenz und Oberschicht durchführen liess.

Der Zirkus steht zentrumsnah auf einem kleinen Hügel, von prächtigen Libanon-Zedern umgeben.

Grosse Zedern umschmeicheln den Kinderpalast beim Zentrum in Tbilisi

Das aktuelle Umfeld des Kinderpalastes beinhaltet jedoch wiederum einige Ambivalenzen. Der hintere Teil bietet Taxifahrern einerseits Platz um sich auszuruhen oder z.B. das Auto zu waschen, andere Automobilbesitzer halten dort Schäferstündchen. Und das Wäldchen ist willkommener Schutz für den Homosexuellenstrich.

Back in Town

Die Oper an der Rustaveli-Avenue in Tiflis

Back in town, ja, aber diesmal konnte ich nicht einfach mal kurz switchen. Nach ein paar Tagen wieder hier zu Hause musste ich feststellen, dass noch nicht alles von mir in Tiflis angekommen war. Einen halbleeren Körper zu organisieren ist ganz schön seltsam. Das dachte der wohl auch und wir verbrachten einige Tage mit Fieber im Bett. Natürlich, er hat recht, es war nicht nur ein logistisches Problem. Ich hatte es schlicht übertrieben. Mein Programm in der Schweiz war sehr dicht. Vermutlich eine unbewusste Massnahme, um der Abwesenheit meines Vaters entgegenzuwirken. Ich traf viele mir wichtige Menschen, schmiss mir am zweiten Tag im Kino „Les Miserables“ ins Gesicht und erlebte am dritten Tag, wie ein junger Mann, der sich vom Turmbalkon des Grossmünsters in Zürich gestürzt hatte, in langen zähen Minuten von der Polizei wieder ins Leben zurück zu bringen versucht wurde. Als die Ambulanz dann endlich kam, deckte sie ihn sofort zu.

Ein gutes Mittel um wieder zurück zu finden ist für mich – zu schauen: Wo bin ich? Wacho und ich mussten lachen. Auf dem Philharmoniegebäude, ein Prestigebau der Sowjetära, blitzte im Wechsel mit anderen Sujets regelmässig Waschmittelwerbung auf. Ja, die Georgier*innen können ganz schön praktisch sein.

Die Philharmonie, ein Sowjetbau der 70er Jahre

Im Foto ganz oben siehst Du die Oper, 1851 vom russisch-zaristischen Regime eröffnet, als Geschenk für die georgische Oberschicht. Der Prachtsbau, der in seiner Grösse weitherum seinesgleichen suchte, sollte den georgischen Adel mit der russischen Okkupation versöhnen. Der orientalische Stil, neo-maurisch, kam dann erst 1896 dazu.

Das Haus der Wissenschaften, ebenfalls Sowjetzeit, ist sehr leer geworden

Während die Oper heute blüht, sie wurde im Herbst 2018 nach langer Renovationszeit wieder eröffnet, ist das Haus der Wissenschaften am Rustaveli Platz zu einem Geisterhaus verkommen. 1941 eröffnet, sind heute auf der grossen Eingangstreppe vor allem Souvenir-Maler mit ihren Marktständen präsent. Die Nationale Georgische Akademie der Wissenschaften gibts zwar noch, aber ob sie heute noch in den grossen veralteten Hallen tagt, sei dahin gestellt.

Von Neu kann man im Quartier Dolidze auch nicht reden, aber von Bewohnt und Lebendig auf jeden Fall. Ein kleiner Streifzug durch mein Wohnquartier, entstanden vor knapp 40 Jahren

Dolidze, tifliser Wohnquartier, entstanden in den 80ern. I love it.
Blumenladen an der Einkaufsstrasse von Dolidze
Der Laden hinter dem gelben Auto ist mit Kvavilebi angeschrieben, auf Deutsch: Blumen
Neu zirkulieren grüne Busse in Tiflis, frisch aus Japan importiert
Die neue Bus-Generation in Tiflis. Vor 4 Jahren kam MAN zum Zug, diesmal war es ISUZU aus Japan. 40 kleinere sind bereits im Einsatz, auf die 18m-langen, die noch kommen sollten, freuen wir uns. Es ist Wahljahr.
Metzgerei im Quartier Dolidze, Tbilisi
Chorzi heissts an diesem Laden, ja genau, das heisst Fleisch
Gemüse- und Früchteläden gibts hier jede Menge, die Konkurrenz ist gross
Dschengis hat sich auf Vegetarisches spezialisiert, seinem Namen nach könnte er armenischstämmig sein. Die Unterhaltung mit ihm ist nicht ganz einfach, er ist ziemlich schwerhörig. Ich mag ihn und seinen Laden, auch wenn man gut beraten ist, ihm aufmerksam bei seinen Rechnereien zu folgen
Dschengis heisst der Verkäufer, er verkauft die besten Kiwis
Übrigens: Dschengis verkauft die besten Kiwis, ihr Vanillegeschmack ist super. Am Schwarzen Meer gereift, Region Ajara, Georgien.

Weihnachten ist weit

Pfarrer der Georgisch Orthodoxen Kirche

In den georgischen Medien dreht sich das Rad der Skandale unaufhörlich. Ohne dass etwas gelöst würde, ohne dass über weitere Entwicklungen berichtet würde. Schlag auf Schlag lösen sich die Skandale von Politik und Gesellschaft ab – neuerdings ist auch die Kirche mit von der Partie.

Als König Tamar Ende 12. Jh. als junge Frau (die männliche Bezeichnung „König“ ist den Georgier*innen in diesem Falle wichtig, sie soll verdeutlichen, dass Tamar die Landesverantwortung hatte) die Regierung Georgiens übernahm, kämmte sie als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Reihen der Kirchenvertreter rigoros durch. Kirchenvertreter gehörten zu ihrem engsten Beraterkreis, sie brauchte gute Leute. Dass die Georgisch Orthodoxe Kirche in letzter Zeit selber schmutzige Wäsche wäscht, ist für mich Zeichen dafür, dass viel Personal an die frische Luft geschickt werden müsste. Auch auf Reisen, das würde den Horizont weiten.

Osternacht in Tiflis, 2019

Als Anfang November in Tiflis der Film „And Then We Danced“ (siehe mein Beitrag vom 11.6.19) ins Kino kam, war es für mich kaum zum Hinören und -sehen. Die Kinogänger*innen mussten von der Polizei gegen Demonstrierende geschützt werden. Hier ein Artikel dazu in der New York Times, vom 6.12.19.

Auf den Filmskandal kamen schlags die Behauptungen eines georgischen Bischofs, der die Kirche der Pädophilie und Homosexualität beschuldigte. Auch das georgische Kirchenoberhaupt, Patriarch Ilia der Zweite, bekam das Bild der Homosexualität aufgedrückt, das war die Krönung. Gefolgt von einem Skandal aus dem politischen Umfeld – und der nächste Skandal ist schon auf dem Absprung. Und nichts wird gelöst, nichts geklärt. Wenn alles und alle miteinander verklüngelt sind.

Knabe zündet Kerzen der Hoffnung an. Ostern in Tbilisi

Fotos von Rene Pfluger, siehe weitere Arbeiten von ihm im Beitrag vom 23.5.19.