Hermelin

Ob ich ein Säckchen Fischfutter kaufen wolle? Fragt mich die Kassiererin am Eingang zum Botanischen Garten in Zugdidi, Region Mingrelien. „Sie kommen dann ganz nah“, setzt sie hinzu. Ja, ich kaufe eins. Ein fahrbares eisernes Gefährt, das kleine Topfpflanzen zum Verkauf anbietet, gibts auch. Die Pflänzlein sind leider nicht besonders schön. Ein älterer Mann sitzt dahinter auf einer Bank, neben dem Gefährt ein Hund mit Ohrenmarke, heisst, Ich gehöre niemandem. Ein grosses Schild, die Parkübersicht: Der Fischteich ist in der Mitte, alle Wege führen sonnenförmig zu ihm. Ich schlage einen Nebenweg ein, der weisse Hund übernimmt sogleich die Führung. Es war mal ein königlicher Park, er gehört zu den zwei Palästen der ehemaligen Königsfamilie Dadiani. Mein Führer schaut immer wieder erfahren zurück, ob ich ihm noch folge. Das linke Hinterbein hält er heraufgezogen, der Oberschenkelmuskel ist von der dauernden Anstrengung übermässig voluminös. Ich muss an Hermelin denken. Als ich ihn streichle, ist sein Fell genau so fein und weich. Königlich.

Nach dem Fischteich stehen wir vor einer hübschen Orangerie. Ich solle reingehen, sagen mir die zwei älteren Herren, die mir angeboten hatten, die Namen all der wunderbaren Bäume um mich herum zu sagen. Ich tauche in den süsslich feuchten Torfgeruch des Gewächshauses ein, in die üppig aneinandergereihten Pflanzen mischen sich Kindheitserinnerungen des Botanischen Garten Basels. Am anderen Ende des länglichen Gebäudes höre ich singende Frauenstimmen. Fünf Frauen verpflanzen an einem niedrigen Tisch mit nassen schwarzen Torffingern Setzlinge. „Sind die Pflanzen käuflich?“ frage ich. „Draussen bei der Kasse.“ „Die gefallen mir nicht.“ „Wieviel kostet die?“ Ich halte ein lustiges Gewächs in die Höhe. „So, so, Du kannst Georgisch?“ „Ja, mein Mann ist Georgier, ich wohne schon lange hier.“ „Dann bist Du also unsere Schwiegertochter. Von wo bist Du?“ Die übliche Frage. „Aus der Schweiz; ich habe sechs Jahre in Tiflis gewohnt, jetzt wohne ich in der Region Kaspi.“ „Und Mingrelisch kannst Du nicht?“ feixt die eine. „Kann ich die kaufen?“ Ich halte mir die Pflanze vors Gesicht. „Ist ein Preis dran?“ „5 Lari.“ Ich fische noch zwei andere Exemplare aus dem süsslichen Pflanzenmeer, die sind ohne Preis. „Da muss ich schauen“, sagt sie und verschwindet. Die Frau mit schwarz gefärbten Haaren und einem grünen Gärtnerschurz kommt mit einer langen Liste zurück. Sie sucht. „Sagen Sie mir doch einfach einen Preis“, versuche ich das Prozedere abzukürzen. Sie sucht immer noch. „Die da, die kostet 8 Lari“ sagt sie bedächtig, „Die dritte ist nicht auf der Liste.“ „Einfach einen Fantasiepreis“, biete ich nochmal an. Sie verschwindet. Kommt wieder: „Die kostet auch 8 Lari.“ „Sehr gut.“ „Ich schreibe Pflanzennamen und Preise auf“, sie sucht nach einem Schreibgerät, verschwindet wieder. Ich bin nur einen Tag in Zugdidi und diesen wollte ich eigentlich nicht ausschliesslich in der Orangerie des Botanischen Gartens zubringen. Die Frauen am Tisch summen ein Lied. Die Gärtnerin kommt zurück mit einem beschriebenen Zettel. Ich müsse draussen an der Kasse bezahlen. „Ein Sack!“ fällt ihr ein. Diesmal nimmt sie mich mit zu ihrem Büro. Die bebrillte Frau im Kassenhäuschen schaut den Zettel gründlich an und tippt dann etwas in den Computer. Der hinkende Hermelinhund hat das Geschehen verlassen. „Wie viele sind es?“ „Drei.“ Sie sucht etwas auf dem Bildschirm. „Wie heisst die dritte Pflanze?“ Die Dame reisst den Plastik des Sacks runter, als sei es meine Unterhose. „Na hören Sie mal, ich schmuggle keine Drogen. Ich habe bezahlt und möchte jetzt endlich gehen.“ Sie schaut in den Computer, und ich verlasse das Terrain.

Ich weiss, dass es nicht die Frauen sind, denen diese Kompliziertheit eingefallen ist. Der Park ist städtisch finanziert und von dort kommen die Vorschriften. Von denen, die selber Nichts aufschreiben; deren Budgetposten verschwinden wie die Hasen bei Alice im Wunderland.

Gipsfiguren auf der Anfahrt Richtung Zugdidi.
Gipsfiguren auf der Anfahrt Richtung Zugdidi.

Westgeorgien 5

(Khatia Buniatishvili, international renommierte Pianistin aus Georgien)

„Liebst Du mich nicht? Magst Du mich nicht?
Ersetze Deine Plage durch mich
Ich kann ohne Dich nicht bestehen, komm zu mir, mach mich glücklich mit Deiner Pest
Ohne Gebäude verwandle ich mich in eine Hölle
Liebst Du mich nicht? Magst Du mich nicht?
Komm zur Rose Deines Herzens, Deiner Plage.“

So die Worte des mingrelischen Volkslieds „Vagiorqo Ma“. Die Küstenregion Mingrelien, auf Georgisch Samegrelo, erlebte mit der postsowjetischen Unabhängigkeit des Landes im 1991 ein Hoch, als Georgien den Mingrelen Zviad Gamsakhurdia zu seinem ersten Präsidenten wählte. Nach einem halben Jahr wurde dieser jedoch gestürzt, und die Region, die sich mit vielen Kämpfern in Tiflis für Gamsakhurdia eingesetzt hatte, kam unter Druck. Im 1993 missglückte der Versuch, die Macht nochmals an sich zu reissen, und Gamsakhurdia verschanzte sich in Mingrelien. 1994 wurde er dort unter dubiosen Umständen tot aufgefunden. In den Folgejahren war die Region unzugänglich, erst 2004 wurde sie vom staatlichen Militär entwaffnet und fand seither wieder ihren Weg in die georgische Gemeinschaft.

Es scheint mir, dass keine Interpretation des Liedes „Vagiorqo Ma“ (Ich habe es getan) die Verstrickung von Verletzlichkeit, Stärke, Gewalt und Leiden so gut einfängt wie der Tifliser Männerchor der Dreifaltigkeits-Kathedrale. Die Sänger tragen das historische Kostüm Georgischer Edelmänner und nach alter Sitte steckt im Gürtel das Schwert.