Ornamente

Schnitt, Kleinstadt Gori, Zentralgeorgien.

Eine grosse Tafel mit hunderten georgischen ornamenten ziert eine Hauswand in Gori

Hunderte georgischer Ornamente zieren die Gebäudewand im Hintergrund eines kleinen Parks. Wie wunderbar! Ich entdeckte sie vergangenen Montag.

Nebst Löwen, Hirschen, Fischen, ja auch eine Erdbeere entdeckte ich, ist auf den einzelnen Keramikkacheln auch hin und wieder ein georgischer Buchstabe eingebrannt. Iakob Gogebashvili (1840-1912), dessen Büste auf der Säule im Gras steht, war Pädagoge, schrieb für Kinder und als Journalist auch für die Grossen. Deda Ena (Muttersprache) heisst sein Leseschulbuch, mit dem seit 1880 alle Georgischen Kinder ihre Muttersprache auch schriftlich lernen. Noch heute, in modernisierter Form, ist es im Einsatz.

Die Ornamenttafel und die Büste vom georgischen Pädagogen Iakob Gogebashvili

Klein und unerwartet

Gori, die Hauptstadt unserer Region, liegt 24 km westlich von uns. Sie ist in einer hübschen Fahrt durch Dörfer erreichbar, die im schmalen Hochtal zweier Hügelketten des Trialeti-Gebirges liegen. Die nördliche Hügelkette ist felsig, ich tippe auf stark erodierten Kalk-Sandstein, ich kann mich nicht satt sehen an den zerrissenen Felsen in wechselndem Licht. Die südliche Kette ist bewaldet. Gori hat rund 45 tausend Einwohner*innen und ist sowohl geschichtlich als auch visuell ein sehr reizvoller Ort. Das finde ich jedoch erst, seit ich in der Nähe wohne und mir auf meinen Besuchen Zeit nehme, um stehen zu bleiben und zu staunen. Vorher war es für mich ein verschlafenes Kaff, in dem Stalin geboren wurde.

Alles ist rund um den Festungshügel angeordnet. Unter dem Namen Tontio taucht er im 7. Jh. in georgischen Urkunden erstmals auf; archäologische Forschungen ergaben, dass sich darunter Überreste einer noch älteren Befestigungsanlage, datiert 3. bis 2. Jahrhundert v. Chr., befinden sollen. Die Burgruine wurde kürzlich renoviert, Arbeiten am Hügel ausserhalb der Festungsmauern sind immer noch im Gange. Als ich die Bagger sah, bekam ich Angst, dass sie die Skulptur, die mir so gefällt, eingewalzt hätten

Aber nein, sie war noch da. WK II. Bei diesem Thema angelangt, komm ich gleich auf die Stalin-Avenue zu sprechen, die breit und schnurgerade, unweit vom Hügel, südlich, liegt. An ihr weisen pompöse Stadtregierungs- und Administrationsgebäude auf den einst wichtigen Status der Stadt hin. Das Stalin-Museum, am Ende eines kleinen Parks, soll innen neu eingerichtet worden sein. Weniger stalinverehrend, kritischer. Ich hab den Besuch noch vor mir; als ich vor Jahren im Sommer drin war, hatte ich kalt, es ist sehr solide mit dicken Mauern gebaut, ich warte auf eine wärmere Jahreszeit. Die Gesinnungskonfusion rund um Stalin und seine Zeit scheint in Georgien gross zu sein „In der Schule wird von Stalin nicht mehr gesprochen“, erzählte mir meine Nachbarin.

Im Alltag dominieren für mich in Gori jedoch die vielen sehr einfachen Marktstände den Strassen entlang, oft sind die Verkäuferinnen und Verkäufer russischsprechend. Viele Secondhand-Kleider, da werden Teppiche und Türvorleger direkt aus dem Kleinbus verkauft, und hier stosse ich auf schöne Maroni, die hab ich gesucht. Sie sind in drei Grössen sortiert: klein, mittel, gross. Ich nehme von den Mittleren „Saidan arian/Von wo sind sie?“ „Zugdidi“. Die Maroni sind aus Zugdidi, das ist die Hauptstadt der Küstenregion Mingrelien. Fünfzig Meter weiter stehe ich vor dem in bester Sowjetarchitektur gehaltenen ehemaligen Kino Sakhli, dem Kinohaus. Es steht leer, in der einen Hälfte des Erdgeschosses hat sich ein Elektrofachgeschäft eingenistet

Auf der anderen Strassenseite, leicht verschoben im Park mit den grossen Prachtsbäumen, blitzt das Theater hervor. Auch aus der Zeit des Kinohauses, jedoch griechischer Stil. Letztes Mal war ich überzeugt es sei ausser Betrieb, doch jetzt hängen farbige Programmaffichen zwischen den stolzen, verwitterten Eingangssäulen. Ich geh rein und frage nach. „Heute ist Saisoneröffnung“ erklärt die ältere Dame vom Billettbüro. „Eine weissrussisch-georgische Produktion, ein Gastspiel, Schedzvale/Verändere Dich, heisst das Stück. Eben hat es am Ukrainischen Theaterfestival zwei Preise gewonnen.“ „Haben Sie das Stück gesehen?“ Sie schaut mich entrüstet an. „Ich habe alle Stücke gesehen, die wir im Programm haben.“ „Ist es gut?“ „Ja.“ „Warum?“ „Es ist sehr speziell, Sie müssen es sich selber anschauen.“ Später entscheide ich mich das Stück zu sehen. Sie hatte recht, es lohnte sich. Es war eine moderne Inszenierung, die Protagonistin sehr jung. Es ging um die junge Frau, die von ihren Eltern unbedingt verheiratet werden wollte, damit Geld reinkomme für die dringend nötige Renovation der Wohnung. Die Hilfs- und Wehrlosigkeit der jungen Frau standen deutlich im Raum. Ihr Handlungsspielraum wurde immer kleiner, die Verzweiflung immer grösser.
Tolle Leistung der gesamten Truppe, das hatte ich nicht erwartet; leider begegnet einem in Georgien oft genug Repräsentationstheater. Es ist eine Realität, dass in Georgien Kinder oft als Werkzeuge ihrer Erzeuger gesehen werden. Für soziales Prestige, zur wirtschaftlichen Sicherheit, besonders im Alter. Wen wunderts, wenn die Rente im Winter nicht mal für die Nebenkosten reicht.