Am Morgen blinzelt mir die Sonne wieder auf den Frühstückstisch, macht das Sofa an der Wand strahlend, und wenn ich am Schlafzimmer vorbei gehe, leuchtet es dort so hell, dass ich nicht nur an einem Morgen prüfte, ob das Licht noch brenne. Es ist Herbst. Die Trauben der Pergola sind süss, aber ich lass sie noch hängen, wie meine Nachbarn, damit sie noch süsser werden. Sie wollen den besten Wein, und ich den tollsten Traubensaft.
Die Schule hat exakt am 15. September begonnen. Es ist egal, ob es ein Montag ist oder nicht, in Georgien beginnt das Schuljahr genau Mitte Monat. Für die Kinder und Jugendlichen unseres Dorfes begann es chaotisch. Die Dorfschule, 1.-12. Klasse, war zu wegen Renovation, nur renoviert dort niemand. „Auf die Ausschreibung hat sich niemand gemeldet, man schreibt es nochmal aus“ erzählt mir Keti, das Nachbarsmädchen. Von vergangenem Februar bis Ende Schuljahr im Juni hatten die Kinder online Unterricht. „Wegen Renovation, die Heizkörper sind in dieser Zeit demontiert worden,“ so das Mädchen. „Der Autobuschauffeur, der uns am 15. nach Sasireti (ein paar Dörfer weiter) brachte, wetterte, er komme am Montag nicht mehr, er sei zu schlecht bezahlt.“ Jetzt fahren neun Marschrutkas, Kleinbusse, jeweils hin und her. Keti verdreht die Augen. „Unsere Schule ist besser. In Sasireti sind die Korridore so gross und die Schulzimmer ganz klein. Warum?“ Sie bläst eine Franse in die Luft. „Ich weiss es auch nicht“ erwidere ich konsterniert.
Kürzlich kam ich nach einer knappen Woche Tiflis, es war Literatur Festival, wieder zurück aufs Land. Ich fühlte, dass der lange Stadtaufenthalt meine Verbindung zum gewohnten Umfeld gekappt hatte. Die Fühler wieder ausstrecken. Auf dem Land bin ich so viel grösser. Die Bäume gehören zu mir, das Gras, der Wind. Wenn ich aus dem Haus gehe, ist der Raum noch immer mir, es gibt genug Platz, ich kann mich hinsetzen oder stehen bleiben, der Raum bleibt.
Anfang Oktober kommt mich meine Mutter besuchen. Zum ersten Mal, seit ich ausgewandert bin.