Seit Januar dieses Jahres bin ich Teil einer Schreibgruppe von sechs Frauen, die sich im Rahmen der Seniorenuni Zürich formiert hat, geleitet wird sie vom Professor für Populäre Kulturen, Alfred Messerli. Thema Autobiografie. Wir treffen uns ein Mal monatlich über Zoom, Internet. Es gibt auch Hausaufgaben, im September hiess es an einem belebten Ort Menschen zu beobachten. Nun, fünf Minuten von meinem Daheim war ich mitten im Geschehen:
Lispelndes Gemurmel in der morgenfrischen Herbstluft. Wortbrocken fallen heraus. Ra rirs? Ori lari. Aus allen Richtungen legen sich Stimmschichten übereinander, verweben sich, zerreissen, Ara es minda, und überlagern sich erneut. Sie sucht in der klimpernden Büchse nach den passenden Münzen, die vor sie hingestreckte gebräunte Arbeiterhand wartet auf das Rausgeld. Die Zubringerstrasse des Dorfes Garikula, welche von der entzweigebrochenen, aber immer noch befahrenen Brücke über dem meist trockenen Urbecha-Bachbett zur Hauptstrasse führt, hat sich, wie jeden Sonntag, in einen lebhaften Bauernmarkt verwandelt.
Vor ihr schieben sich Menschen mit schwer gefüllten dünnen Plastiktüten dem schmalen Eingang des Markthofes zu. Auf ihrer Brettlade sind schmale weisse Kerzen, uneingepackte Seifen, aufgewickelte braune Schuhbändel, schwarze kurze Frauensocken und hinten, zu einer kleinen Pyramide aufgereiht, dunkelgraue Toilettenpapierrollen ausgelegt. Im Gespräch mit der stehengebliebenen weisshaarigen Frau führt sie langsam die Hand zum Ausschnitt ihres violetten Pullis, fasst mit den Fingern leicht darunter und schiebt die Träger des Unterhemds oder BHs zurecht. Feine sanftbeissende Fetzen von Rauchschwaden eines angrenzenden Gartens mischen sich in die Luft. Ein heller Wortwechsel von weit her, gebrochen vom Zwischenruf des grossgewachsenen Mannes mit unerwartet eingesunkener Brust unter dem rotblauweiss karierten Kurzarmhemd. Er faltet sich in den kleinen orangen Lada. Der plötzliche Lärm des gestarteten Motors scheucht das ruhig vor sich hinrieselnde Stimmengewirr auf, laut stiebt es, wie aufgeregte Gänse, auseinander. Rurrend und dunkel fauchend bewegt sich das Gefährt langsam rückwärts aus der Parklücke. Stoppt, die Tür öffnet sich, der mit weissgrauen Stoppeln übersähte Schädel des Fahrers schaut zurück. Am Boden ausgelegte weisse Säcke, gefüllt mit mattgrünen Stangenbohnen, Rebenpfirsichen und Kartoffeln stehen nicht weit von seinen Hinterrädern. Modi, Modi! rufen ihm die zwei älteren Männer, heftig gegen sich winkend, von der Strassenmitte zu. Der kahle Schädel verschwindet und der Lada setzt sich rottelnd wieder in Gang. Die kleingewachsene Marktfrau mit dem dunklen aserbaidschanischen Gesicht wird von der alten Autobüchse samt ihrer weissen ausladenden Säcke langsam verdeckt. Mit einem Schlag auf die hintere Seite des Kofferraums gibt der eine der zwei Männer dem Fahrer zu verstehen, dass er genug ausgeholt habe um nun vorwärts auf die ungeteerte Strasse einzubiegen. Das flache helle Holzkreuz mit gerundeten Ecken schaukelt beim Richtungswechsel unter dem Rückspiegel wild hin und her. Die kleine Frau mit schwarzem langem Rock und abgetragenen staubigen Sandalen wird wieder sichtbar, ein junger vollbärtiger Mann gestikuliert mit ihr. Mit dem Kinn zeigt er schräg hinter sie. Oberhalb des weissen Kastenwagens schichten sich dunkle Wolken in die Höhe. Ein sternförmig blauer Schlitz hat sich darin aufgetan und wandert durch das Grau. Als er stehen bleibt, sind zwei weisse zerzauste Wolkentupfer zu sehen, die weit oben durch sein sonntägliches Blau treiben.
