Es gab Haferflockenbrei zum Frühstück

“Mit Öl, ist gut?” fragte mich Zizo beim Zubereiten. Auf dem Weg zum Sonntagsmarkt kreuzte ich sie. “Komm nachher vorbei”, rief sie mir zu. So habe ich mit vollen Taschen bei ihr Halt gemacht. Zwei Frauen stehen unter der Tür, beide mit weissem Haarschopf. Die eine im schwarzen Rock, und Zizo, die grössere, in kurzärmligem Hemd und Hose. Sie stellt mir Dodo vor: “Wir waren acht Geschwister, jetzt gibts nur noch uns zwei. Welche ist die Ältere?” „Keine Ahnung, ihr seht beide gut aus!” Die zwei haben eine kraftvolle Präsenz, Zizo ist vielleicht ein bisschen agiler. “Meine Schwester ist 83 und ich 80”, fährt sie fort, stellt geschnittene Tomaten und Gurken auf den Tisch. “Dodo hat 32 Jahre in Griechenland gearbeitet und ich 12.” Sie schneidet kleine Stücke Käse in den Brei. Die zwei Frauen leben in Tiflis, kommen jedoch im Sommer aufs Land, wo sie aufwuchsen. “Hast du Kinder?” fragt mich Dodo vom anderen Tischende. Bin ich unterwegs und weiss, dass ich die Leute mit grosser Sicherheit nicht mehr treffe, sag ich meist: “Ja, ein Mädchen und ein Knabe, 16 und 12 Jahre alt.” So gehe ich 
betretenem Schweigen, 
stürmischen Mitleidsbezeugungen, und
Ratschlägen (operativer Eingriff, Medikamente), 
aus dem Weg. Hier bin ich jedoch im Dorf und die zwei Frauen sind Verwandte meiner Nachbarin. “Nein, ich habe keine Kinder,” sage ich leicht, “das ist für mich in Ordnung.” Sie schauen mich an. “Als ich ganz jung war tanzte ich, anschliessend kam das Malen und heute schreibe ich. Um die 40 verlor ich zwei Schwangerschaften. Kinderhaben war für mich nie allzu wichtig.” Zizo überlegt kurz, dann: “Die Verantwortung”, sagt sie nicht sehr laut zu ihrer Schwester, “sie war dafür nicht bereit.” “Ich habe in früheren Leben schon oft Kinder gehabt,“ nehme ich ihren Kommentar auf, “ich weiss wie’s geht.” Nach einer Weile: “Mehrere Leben zu haben ist in unseren Religionen nicht verankert, ich weiss, ich spüre es trotzdem so.” Dodo lässt sich mit abweisender Mine in den Stuhl zurück fallen: “Du bist Katholikin?” Ich nicke. Zizo: “In den Büchern kann man solche Dinge lesen, das stimmt,” sie schaut zu ihrer Schwester, “doch, frag deine Enkelin, sie weiss das.” Nach einer längeren Pause meint die Ältere: “Letztlich, reich sein heisst Kinder haben.” 
Beim Kaffee, er ist exzellent, sind wir bei der Politik angelangt. “Wir möchten wissen, wie Europa schmeckt,” lustig rührt Dodo in der Tasse, “soll er krepieren, der andere!”

ზაფხული , Sapchuli (Sommer)

Es wächst, es wächst, schiesst in die Höhe, hält sich fest, schlängelt nach oben, hat Dornen, hat keine, verliert die Früchte nach dem Blüh’n, ganz zurückgeschnitten und trägt doch wieder Feigen, Erdbeeren wuchern, Pfefferminz, eine Roggenart hat sich von letztem Jahr überall festgesetzt, wird golden, die Winde, Hopfen, hohe Blumenfühler versamen, unten spriesst es neu, Bienen sammeln von früh bis spät in weissen, lila oder pink Blumenkelchen, die Rebe schaut am Ende der Pergola wippend, wie ein Drache mit grossen Ohren, nach neuen Andockmöglichkeiten. Es hat geregnet im Frühling, überzeugend geregnet, dann sehr warm und immer wieder Nass, Donnern und Grollen ganze Morgen lang, stösst die subtropische Klimazone nach Osten vor? fragten wir uns, aber jetzt ist wieder Ordnung, ein toller Sommer, warm und auch heiss, wie liebe ich das Zirpen der Grillen und dieses Jahr haben sich Singzikaden dazugesellt, seltsames Flattern der Schmetterlinge, drehen um sich selbst, ein Flügelschlag nach oben, sich fallen lassen um gleich wieder hochzuwirbeln, ein Hakenschlag nach rechts, nach links, fort, und wieder da, verschwunden. Eine Libelle kommt.

Dank den frühlingschen Niederschlägen ist der Wasserkanal oberhalb meines Gartens dieses Jahr immer voll, ca. einmal wöchentlich wird geschwemmt, der Wasserstrahl ist kräftig, zügig arbeitet sich die Feuchtigkeit durch den Boden, um schliesslich unten durch das Stützmäuerchen hervorzuquellen. Gesammelt läuft das Wasser dann die Strasse runter. “Brigitta! Wasser ist auf der Strasse!” Die Nachbarn machen sich Sorgen und ich marschiere mit meinen Riesenstiefeln, Grösse 45 und reichen bis zum Knie, nach oben, steige in den Kanal und stopfe das Loch. Ich mag das Schwemmen. Früher floss Wasser aus einem Kübel von Kinderhänden gehalten durch den Sand, Gräben wurden gebaut, Hügel geschichtet, Flüsse gestaut, heute fliesst das Wasser über Nussbaumwurzeln, Apfel- und Kirschbaumfüsse, durch Taubnesseln und viele Pflanzen, deren Namen ich nicht kenne. Der Wiedehopf war da, als der Boden noch kahl war, das üppige Grün scheint ihm nicht zu behagen. Mücklein steigen mit gespitzten Ohren senkrecht auf, um auf derselben Linie wieder runter zu sinken, horchend, jederzeit zu einem Hüpfen bereit, Notenköpfen gleich, die ihre Position auf den Linien suchen, ein Schlenker zur Seite, ein Intermezzo mit dem Nachbarn, schnelles Auf und Ab, dann grosser Notenbogen durch den Raum.

Weihnachten ist morgen

Als ich unseren Bauernmarkt verlasse, stehen da noch immer die Leute mit dem Federvieh, ein paar Hühner und viele Truthähne. Weihnachtszeit, die Orthodoxen feiern Christi Geburt am 7. Januar. Vor dem Mäuerchen stehen mehrere kleine Trutengruppen beieinander. Die Schwarzen, die Weissen, die Braunen und die, die von allem abgekriegt haben. Will ein Tier davonrennen, kippt es sofort um, denn ihre Füsse sind mit Schnüren untereinander verknüpft. Rauf, runter, lockeres Schwingen der flachen Köpfe zur Seite, zurück, die seitlichen Augen drehen sich neugierig. Kurze Gurrlaute entfliehen den roten Schnäbeln. Ich stehe und schaue. Ich bin hier eine schräge Nummer, schaue wie verzaubert, und will nichts kaufen, darum letztlich völlig uninteressant. Am unteren Hals, bevor die Brustfedern beginnen, hängen zwei bis drei fingerbeergrosse rote runde Hautballen. Sonst sind Hals und Kopf überdeckt mit glatten unregelmässigen Hautausstülpungen. Schlangenhaut mit Ausschlag, wild darüber gekleckert die Farben. Von dunkel zu wässrigem Rot, fahles und leuchtendes Pink, Weiss, und vergilbtes Hellblau. Wer nur hat diese Tiere erfunden? Manchmal hängt zwischen den Augen ein langer roter Hautschlenker herab, gerade über den Schnabel, oder seitlich verrutscht.

Vorher probierte ich bei der fülligen Frau mit dem Pantoffel-Stand verschiedene Mützen. Ich suchte nach einer Feinen, die ich unter der Gestrickten anziehen kann, denn bei Wind zieht es mir mit nur einer Mütze an den Schädel. Als die Auswahl enger wird, suche ich mit den Augen nach einem Spiegel. Die Verkäuferin zeigt aufs Auto hinter sich. Auf dessen Dach stehen verschieden grosse Gummistiefel. Ich gehe nach hinten. Meint sie den Seitenrückspiegel? Ich bücke mich zum kleinen Spiegel und merke, dass er ins Autoinnere zeigt. Was mach ich hier? “Ar scheidzleba!” (Funktioniert nicht!) Ruf ich der Frau zu. Jemand fragt: “Was will sie?” “Einen Spiegel!” Die Verkäuferin schaut zu mir und deutet auf das andere Auto. Die halten mich sicher für doof. Ich zeige ihr den Vogel, wie um mich zu rehabilitieren. Wir lachen. Ich komme zurück und kaufe die Mütze.