An der Kurve zur Dorfausfahrt steht ein Pfarrer, der mit seinem Daumen Richtung Tiflis zeigt. Er macht mir ein extra Zeichen, ich halte an. Der Schwarzkuttige öffnet ohne viel Aufhebens die hintere Tür und haut sich rein. Er hatte nicht verstanden, dass ich zuerst noch die Tomaten, für meine Schwiegermutter in der Stadt gedacht, vom Rücksitz in den Kofferraum retten wollte. Glück gehabt, es gab keine zerquetschten. Wie sich im Rückspiegel herausstellte, war der Geistliche jünger als ich und leutselig. Unser Dorfpfarrrer. Don Camillo kommt mir in den Sinn – und ich Peppone? Er bekommt einen Anruf, jemand wartet auf ihn „In 20 Minuten bin ich da!“, sagt er, das kommt nie und nimmer hin, weiss ich. Um ihn zu unterstützen drücke ich auf die Tube und werde dafür in den Antworten einsilbiger. Er versteht und zusammen fliegen wir nach Tiflis, wo er mir in der Vorstadt, beim grossen Parking eines Supermarktes, das Zeichen gibt, ihn abzusetzen. Er schenkt mir eine schöne gelbe Bienenwachskerze und bedankt sich herzlich. Das war ein guter Anfang, denn ich fahre in die Stadt, um in der Nacht mit Wacho meine Mutter am Flughafen abzuholen. In Georgien bedeutet das Mitnehmen eines Fahrgastes den Segen Gottes. Meine Schwiegereltern lächelten zufrieden, als sie vernahmen, dass ich einen Pfarrer dabei hatte.
Und dann ist also meine Mutter da. In Tbilisi, in den Strassen, die niemand meiner Familie je gesehen hat. Wacho und Margaret, wie er sie nennt, sehen sich zum ersten Mal. Wie oft wollte er in den vergangenen Jahren mit ihr reden, ihr sagen, sie solle mich holen kommen, ihr sagen, wie recht sie habe, mit mir böse zu sein.
Was soll ich erzählen von diesen wunderschönen Tagen? Kleine Dinge. Dass Mami und ich zusammen zu Goris Burgruine hinaufgingen, bei starkem kühlen Wind, die letzte Treppenstrecke geschafft und stehen im Tor zum Burgareal. Der Wind ist hier so stark, dass wir nicht mehr weiterkämpfen und lachend stehen bleiben. Dann raffen wir uns auf, legen uns wieder nach vorne in den Wind, und zwei Schritte weiter, im Gras des flachen Ruinenovals, fallen wir aus den Angeln. Windstille.
Im Strassencafé schauen wir auf geparkte Autos. Ob sie die Autos schon gesehen habe, die ohne Zahnfleisch? frage ich meine Mutter. Sie versteht nicht. Schau, da vorne ist eins. Das weisse Fahrschild hängt unten in schwarzer Leere, die Räder rechts und links stehen dunkel und nackt auf der Strasse. Keine Stossstangen, fortgeschrittene Parodontose. Ab dann sieht sie die eigenwilligen Brummer überall.
Zum grossen Tifliser Lebensmittelmarkt der Deserteure, so heisst er, gehen wir mit der Metro. Am Freiheitsplatz ist die Metro Teil der grossen Shopping Mall, die auch das Russische Theater beherbergt. Viele Leute, der Geruch ungewohnt, wir passieren die Ticketkontrolle und scharfe Kurve zu den Rolltreppen, drauf gesprungen, Mami fischt ihre Augen erschrocken aus der unerwartet tiefen Schlucht. Ja, hab ich komplett vergessen, Mamis Höhenangst, wie sie manchmal beim Schifahren plötzlich nicht mehr weiter den Hang runter kam. Ich steh eine Treppenstufe unter sie, um ihr die traumatische Sicht zu verstellen.
Und dann, als Abschluss, der Besuch beim Winzer im schroffen Vulkanfels, unweit von meinem Wohnort. Die Familie ist noch nicht zu Hause, der Grossvater zeigt uns alles, und ohne dass Mami die Sprache versteht, versteht sie aus seinen Bewegungen, wie hier Wein gemacht wird. Ganz ähnlich wie bei ihr zu Hause, damals, in den 50er Jahren. Wir geniessen den goldenen Wein und das köstlich frische Essen. Was das kleine Holzhüsli wohl sei, frage ich sie, als wir zum neuen Gebäude gehen, wo unsere Zimmer sind. Ein einfaches Klo? wundere ich mich weiter. Aber nein, nicht mit dem kleinen Kamin oben auf dem Dach, meint sie. Nunja. Am nächsten Morgen, bevor wir abfahren, frage ich den Grossvater. Er öffnet die Tür. Im Moment sind Quittenschnitze zum Trocknen drin, aber oben an einer Stange hängen Metallhaken. Zum Räuchern von Schweinefleisch, meint er. Meine Mutter nickt und lacht, das hab ich mir gedacht, sagt sie, das hatten wir auch. Und von unten wird gefeuert!
Höhlenstadt Vardzia, Kleiner Kaukasus:
