Beim Coifför

“Hier?” frage ich, zur offenen Tür des kleinen Raumes reinschauend. “Ja” sagt Wacho, eintretend. Auf dem letzten der drei Coiffeurstühle rechts sitzt ein junger Mann leicht aufgebockt. Eine reife gut genährte Frau mit silbrig-schwarzer Schleifen-Bluse ist mit seinen Haaren beschäftigt, und dreht sich zu uns um. “Ist die andere Frau da?” fragt Wacho. Die Frau nickt und macht mit dem Kopf eine Bewegung zur offenen Tür hinter ihr “Sie kommt gleich.” Ich soll den Rucksack abziehen und absitzen. Ich will mich auf den Stuhl neben dem jungen Klienten setzen, mit einer Armbewegung zeigt mir jedoch die Coiffeuse, dass ich mich auf den tieferen eckigen Stuhl gegen die Tür setzen soll. Geschäftigen Schrittes kommt die zweite Frau heran. Solide gebaut, blond gefärbte halblange Haare, mit einer grossen roten Schürze über Brust und schwarzen Hosen. Aufblickend schaut sie uns fragend an. Schnell ergreife ich das Wort, zeige gleichzeitig mit dem Finger das schmale halbrund über den Ohren und berühre das Genick “Ein bisschen über den Ohren und im Genick kurz schneiden.” Sie geht zum hinteren Tisch “Was kostet das?” fragt Wacho, “Acht Lari” antwortet sie, während sie sich bückt. Wir nicken, sie kommt zurück und ergreift sofort einen Rasierapparat und steckt diesem einen kleinen schwarzen Kamm auf. Setzt beim Ohr an und führt den Apparat bis über die Schläfe. Wacho verlässt den Laden und ich präzisiere, dass ich nicht die ganze Seite sehr kurz möchte, sondern nur nah der Ohrmuschel. “Gaiget?” (Verstehen Sie?) beende ich meine Worte “Ki, dzalian kargad gavige” (ja, ich habe sehr gut verstanden) sagt sie ohne aufzublicken “Was meinst du denn” höre ich im Unterton mit. Sie ist wie ein angefahrener Zug, der unabänderlich in die Gänge kommt. Auch die andere Seite kommt dran, dann hinten. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, wechselt sie den Apparat und setzt wieder an. Ich bin froh, dass sie nicht mehr ganz rauf fährt. Hinten auch, und wieder Apparatewechsel, wie bei der Formel 1. Noch ein bisschen kürzer gleich beim Ohr, wie ich das wünschte, gut macht sie das. Hinten seitlich raspelt sie die feinen kaum sichtbaren Härchen ab, sehr gut. Sie wirft das Gerät auf die Lade unterhalb vom Spiegel, der die ganze breite der Wand abdeckt. Schnappt sich eine mittelgrosse Schere, macht sich am Übergang zu den längeren Haaren oben zu schaffen. Schon ist sie ganz oben. Ein Zusammenziehen bei mir, der Atem stockt. Nun, den Pelz ein bisschen auflockern ist vielleicht gut. Die Schere schnappert. Es reisst immer wieder an meinen Haaren, die kleine Schraube, die die zwei Hälften der Schere zusammenhält, ist vermutlich nicht satt genug angezogen. Und schon fällt die Schere dumpf klingend auf die Ablagefläche. Die entschlossene Dame nimmt jetzt eine Rundbürste zur Hand. Wohl im Wunsch mich zu kämmen, schlägt sie meine Haare in die gewünschte Richtung. Wieder einen Rasierer. Aha, die Schläfen jetzt ganz ganz kurz, ist ok, ich sagte ja, ich möchte es sportlich. Nochmal ein Wechsel, nochmal drüber rasieren, und wieder der Griff zur Schere. Jetzt halte ich die Hand auf den Kopf “Ich möchte, dass noch was bleibt” sage ich bestimmt und lache gewinnend. Kurzes Auflachen einer Frau hinter mir. “Ich kann doch nicht die Dinge auf halbem Weg stehen lassen” sagt der Schnellzug in roter Schürze. Greift jetzt jedoch zum grossen runden Pinsel und schwingt ihn über meine Ohren, Genick, Stirn und Wangen. Wieder Wechsel, ein handgrosser Schwamm-Würfel. Fast sanft streicht sie über Nase, Ohrläppli, Stirn, Genick. Sie öffnet den Klettverschluss des schwarzen Nylonmantels, der um meinen Hals gebunden war, und zieht ihn mit Schwung zurück. Zorro machte das auch so. Ich sage danke, sie nimmt es geschäftig hin, stehe auf; sie winkt die Frau von hinten, mit den langen braun gefärbten Haaren, auf den Stuhl. Ich nehme 50 Lari aus dem Portemonnaie und strecke sie ihr hin. Mit dem langen Nagel ihres Zeigefingers pocht sie zwei Mal unmissverständlich auf die Oberfläche des kleinen Holztisches in der Mitte des Raumes. Ich lege die Note auf den Tisch. Sie setzt sich, nimmt die Handtasche hervor, öffnet den Reissverschluss, zückt die Brieftasche, streckt mir zwei Zwanzigernoten entgegen und öffnet das Kleingeldfach. “Zehn ist gut”, sage ich, “Kargia” (es ist gut). Sie blickt auf und zwei unerwartet weiche braune Augen schauen mich an, fast zärtlich. “Madloba” (danke), sagt sie, wie im Durchzug.

5 Gedanken zu “Beim Coifför

  1. Hahaha, erinnert mich an ein Friseurerlebnis in Kutaisi! Ich wollte mein schulterlanges Haar auf kinnlang kürzen, mit Gestik und Englisch versuchte ich mich zu erklären. Die Friseurin fragte mich immer wieder: Short? Ich: no, not short und deutete auf mein Kinn. Immer wieder. Am Ende hatte ich sehr kurze Haare, die Locken hat sie geglättet und die Haare insgesamt 4 mal gewaschen. So geht’s also in Georgien, hab ich mir gedacht . Und war froh, auf dem Weg nach Indien zu sein, wo mich kein Mensch erkennen würde😂

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  2. Jetzt weiss Du Spatz wie wichtig sind coifför bei uns .inzbesonderes wenn man geht zu ihm 40 yahre .Coifför iat schon alt siet nicht mehr gut plus muss er 100 gramm schnaps morgen haben sonst kann er nicht arbeiten. Toll

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  3. Wacho, wir wissen beide, dass Du hunderte von tollen Geschichten in Dir hast. Bitte lass uns diese doch endlich raufholen, diese zusammen aufs Papier bringen. Ein Herzenswunsch von mir.

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  4. Das muss ich hier unbedingt festhalten, zu Ehren der Coiffeusen in Tiflis. Es war für mich seit 7 Jahren das erste Mal, dass ich ein solches Erlebnis beim Coiffeur hatte. Meine ehemalige Coiffeuse, als ich noch lange Haare hatte und mich nach dem ersten halben Jahr Georgien entschloss die Haare zu färben, wie das hier alle machen, fand auf Anhieb meinen Lieblingston, meine Farbe. Das war genial. Auch verwandelten mich ihre Föhnkünste jedesmal in Königin Gloria, was ich genoss.

    Auch haben sich schon einige unserer Reisegäste in Tiflis die Haare schneiden lassen, das kam immer gut raus, sie waren zufrieden!

    Der Punkt war wohl diesmal, dass ich fand, für das bisschen Rasieren bei Ohren und Genick müsse ich nicht weiter schauen, in welchen Salon ich ginge … nun, das Abenteuer wars allemal wert!

    Long live Georgia (je t’aime)

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